(Achtung, könnte lang werden, und ich könnte den Faden verlieren, mal gucken)
Meine letzte Sammlung zum Thema PRISM wurde gelobt aber auch zu unkommentiert genannt. Ergo.
Vorab eine Begriffsklärung via Jörgen Camrath. Was PRISM ist.
Grundsätzlich ist mir klar: Abhörtechnologie die es in Filmen gibt, wird es auch in echt geben. Und das was in Filmen gezeigt wird, ist vermutlich schon veraltet. Das durch Edward Snowden ans Licht der Welt gebrachte PRISM darf einen nicht wirklich überraschen. Und noch mal: Abhören funktioniert, wie der aktuelle Fall von Daniel Bangert zeigt, der nach dem Aufruf zum Spaziergang zu einem US-Gebäude-Komplex bei Darmstadt prompt Besuch von der Polizei bekam. Passend dazu heute die Nachricht auf MDR.de, dass der BND über vergleichbare Technologie verfügt.
Mir wird bei dem Gedanken daran, dass meine gesamte Kommunikation überwacht wird nicht Angst und Bange. Vielmehr keimt in den letzten Tagen Ärger auf. Ärger darüber, wie dreist die Amerikaner mit der Sachlage umgehen, zB wie der Cheftechnologe vom CIA sagt “Wir sammeln alles wo wir unsere Finger dran bekommen und speichern es für immer.” Weil, “nur so haben wir die bestmögliche Position, die richtigen Datenpunkte zu verknüpfen, um die Verbrecher zu schnappen.” Dreist auch, wie sie mit Innenminister Friedrich umgehen (keine Sorge, der kommt auch noch auf der anderen Seite vor). So behandelt man nicht sein engsten Verbündeten, so manövriert man sich immer weiter ins Abseits. (Schade, dass Frau Merkel Frau Merkel war und nicht so reagiert hat, wie Hugh Grant als britischer Premierminister in einem Hollywoodfilm und der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, nur, damit alle Extreme erwähnt sind, dass auch Stalin und Hitler für den Friedensnobelpreis nominiert waren, via Gerald Hensel. ) Noch dreister ist das Abhören per se? Theoretisch ja, aber praktisch siehe Bourne – da funktioniert Videoerkennung von öffentlichen Kameras, und zwar nicht nur in den USA. Ich gehöre zu denen die glauben, dass die Regierung natürlich von PRISM wusste und damit d’accord ging.
Das Unfassbare ist, dass der Aufschrei gegen die aktuell von der Bundesregierung aufgeführten Posse nicht größer ist. Wenn Jakob Augstein der Kanzlerin vorwirft, sie liesse das deutsche Volk im Stich, dann hat er recht. Aber warum ist das nicht täglich Debatte? Wenn Stefan Niggemeier der Kanzlerin vorwirft, dass sie entscheidende Interviewfragen im Zeit-Interview einfach nicht beantwortet und das Volk schlichtweg für dumm verkauft (also sie, nicht er), dann hat er recht. Warum kommt sie damit durch?
Wenn Innenminister Friedrich nach der Rückkehr aus den USA erst sagt, er habe “Einiges an Informationen erhalten”, später aber sagt, so genau wisse er auch nicht, was und wie viel die Amerikaner abhören, dann ist das entweder Verarsche, Inkompetenz oder er darf das Bauernopfer spielen. Oder alles drei (wobei eigentlich erst de Maiziere gehen muss, dem wurde schließlich schon vor sieben Wochen das Vertrauen ausgesprochen). Wenn Sascha Lobo Merkel und Friedrich vorwirft, sie würden Grundrechte aushöhlen, dann hat er recht (siehe auch seinen Besuch bei Maybrit Illner).
Dass der Zweck die Mittel heiligt ist kein valides Argument, sagt Martin Oetting und er hat recht. Aber was rege ich mich auf. Halt stop. Hier ist eben jetzt kein Platz mehr für Jux.
Warum ist der Aufschrei nicht größer? Warum lockt die Nachricht, dass die Polizei Reisenden die Handys abnimmt, um die darauf befindlichen Daten herunterzuladen und zu speichern niemanden so ernsthaft hinterm Ofen hervor? Ist unsere Privatsphäre weiter von uns weg als Studiengebühren oder Kastortransporte? Denkt die Bevölkerung, dass die Politiker seit Jahren machen, was sie wollen, und das wird auch bei wechselnden Regierungen nicht anders, also muss man sich dem Schicksal ergeben?Oder ist etwa bei vielen noch nicht angekommen, um was es hier geht und es fehlen Argumente? Dann bitte hier nicht weiter lesen, sondern den hervorragenden Beitrag von Christoph Kappes, “Vertrauen, Verrat und Schatten“, keine Sorge, ich warte. Gern ausdrucken und Eltern faxen. Auch das Essay von Gerald Hensel, “Empört Euch, verdammt noch mal” ist wärmstens empfohlen. Sascha Lobo war heute morgen im Morgenmagazin der ARD und hat mit erstaunlich unaufgeregter Wortwahl einfach dargestellt, was hier gerade schief läuft, dass sollte man sich anschauen, ist nicht lang.
Ich glaube ich kann das nicht so sachlich. Friedrich hat doch gestern als Antwort auf das Versagen der Bundesregierung, sein Volk vor dem Abhören zu schützen, geraten, dass die Bürger selbst ihre Kommunikation verschlüsseln sollen. Da finde ich Lobos Feuer-Metapher (Haus brennt, aber nicht der Staat (aka Feuerwehr) kommt helfen, sondern man solle schon mal selbst löschen üben) noch zu schwach. Ich sehe das so: Die Amis kamen mit dem Feuerzeug, die Regierung hats gesehen, gesagt “mach mal, hilft uns ja auch”, und sagt dann “wir können leider nicht helfen, musst Du selbst ran”.
Sorry, aber das ist nicht nur unfassbar sondern auch nicht akzeptabel.
Wie das oben verlinkte Interview mit Angela Merkel zeigt, versucht die Regierung (noch) die nichts hören, nichts sehen, nichts sagen Taktik. Man fragt sich, wie Veränderung ausgelöst werden kann. Petitionen setzen zwar Zeichen, nach der Kehrtwende der EU-Kommissarin könnte aber auch da bald Verdrossenheit einsetzen. Verlass ist selbstverständlichmöglicherweise auf die Fraktion, auf die die Regierung hört – die Wirtschaft. Denn die sagt (gar nicht dumm), “wenn alles abgehört wurde, dann ja auch wir, dann könnten die Amerikaner ja Industriespionage begangen haben“. Ich bin gespannt, ob hier genug Druck auf die Regierung aufgebaut werden kann, dass sich etwas bewegt.
Und dann wären da ja noch die Wahlen. Was schwierig ist, wie nicht nur Felix Schwenzel schön zusammen gefasst hat (mit zurzeit 1122 Kommentaren!). Wer soll es denn richten? Es mangelt an glaubwürdigen Alternativen. Klar, Steinbrück ist das geringere Übel, aber reicht das?
Ich weiß es auch nicht. Aber ich komme mir vor, wie im falschen Film. Und das gefällt mir nicht.
2 Comments
Christoph
Hallo Sebastian, eine “schöne” Zusammenfassung zu diesem sehr unschönen Thema! Ich frage mich aber, benötige ich neben der politischen Lösung auch noch eine persönliche Umstellung meiner Internet/Online Nutzung? Wie kann ich o.g. Dienste ohne schlechtem Nachgeschmack weiter nutzen? Fragen über Fragen…
LG Christoph
Sebastian Keil
Gute Frage. “Ich hab ja nichts zu verbergen” ist kein Argument, wie auch der Spiegel schön zusammen fast. http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/fuenf-schlechte-argumente-fuer-mehr-ueberwachung-a-911202.html
Das eigene Verschlüsseln funktioniert nur, wenn das Gegenüber auch verschlüsselt. Weniger Teilen vielleicht. Passworte nur noch per persönlich übergebenem Zettel austauschen…
Hab ich auch keine Antwort drauf.